Sonntag, 14. September 2014

Der Mauerfall. Silbernes Jubiläum. Genetik.

Wichtige, überraschende Erfahrungen scheinen sich in der Genetik der Menschen zu verankern. Ob es sich dabei um einen weiteren evolutionären Prozess handelt, bleibt jetzt erst mal dahin gestellt. Die genetische Anpassung braucht zwar einige Jahrzehnte, aber mit etwas Glück und Aufmerksamkeit kann man eine solche beobachten. Freue mich aufrichtig, mitteilen zu können, dass mir eine solche Wahrnehmung zu Teil wurde. Und zwar wo? Im Spessart. Da, wo man noch Zeit und Muße hat, zu beobachten. Meist wird der Nachbar beobachtet. Oft lehnt man sich dabei von innen im Haus auf sein Fensterbrett und beobachtet unermüdlich, was draußen so vor sich geht. Nicht so geübte benötigen dazu noch ein Kissen für die Arme, später dann nicht mehr. Diese Form des wachsamen Gewahrseins ist die westliche Antwort auf östliche Meditationsformen und wird gerade in ländlichen Bereichen sehr intensiv praktiziert. Aber auch in städtischen Gegenden kann man die Eleven durchaus bei der stundenlangen Übung sehen.
Nun, mein Erlebnis war anderer Art.
Vor 25 Jahren fiel sie. Die Mauer zwischen Ost und West. Waren viele Tausende froh darüber. Ob das heute noch so ist, weiß ich nicht. Aber finanziell solidarisieren wir uns immer noch mit diesem Mauerfall. War ein ganz einschneidendes Erlebnis und in der Erinnerung, mit vielen Menschen feiernd in Koblenz auf dem deutschen Eck zu sein, hatte etwas Bewegendes. Damals. Heute feiert dort keiner mehr. Auch nicht 25 Jahre Mauerfall. Hätte niemals gedacht, dass dieses Erleben sich genetisch an nachkommende Generationen weitervererben kann. Bei mir hat es das auch nicht. Hab nix zu vereben und hab es deswegen auch lieber gelassen. Das wär nix geworden. Andere hätten es vielleicht auch besser lassen sollen, haben sie aber nicht.
Ein Dorfbewohner hatte im vergangenen Sommer (man erinnert sich, ist ja noch nicht so lang her) eine Mauer gesetzt an seinem Grundstück. Zum Weg hin glatt, um auf der anderen Seite, also im Garten, einen überdachten Grillplatz zu bauen. Hat sich Mühe gegeben, der gute Mann. Erst gemauert, trocknen gelassen, verputzt, trocknen gelassen, gestrichen, trocknen gelassen. Speziell das Trocknenlassen dauerte bei schwüler und gewitteraufgeladener Luft dann doch immer eine ganze Weile. Aber eines Tages war er fertig. Farblich passend zur Hausfassade war die Mauer. Sehr schick. Also jetzt für eine Mauer.
Die Mauer ist also erst wenige Monate alt.
An der Mauer zwischen Ost und West wurden kleine Tierchenmenschen tätig. Man nannte sie Mauerspechte. Wikidingens weiß: "Als Mauerspechte wurden im Volksmund Menschen bezeichnet, die nach dem Mauerfall 1989 die Berliner Mauer bearbeiteten und zerkleinerten.
Deren Motivation war grundlegend verschieden. Es gab zahlreiche
Souvenirjäger,
professionelle Händler,
Menschen, denen es aus politischer Motivation um die Teilnahme an der volksfestähnlichen (symbolisch schnellstmöglichen) Zerstückelung der Mauer vor allem im Bereich Potsdamer Platz und Checkpoint Charlie ging, sowie
Künstler (siehe Horst Walter)."
Mauerspechte, die beim spechten aus Unachtsamkeit von der Mauer fielen, nannte man nicht Mauersegler. Das darf man nicht verwechseln, das sind Vögel. Die sind aber schon weg, die haben sich schon Richtung Süden aufgemacht wegen Winter. Obwohl Winter kennt man hier ja eigentlich nicht mehr.
Heute morgen entdeckt:
An der neuen Mauer im Dorf wurde gespechtet. War gestern noch nicht da. Muss heute Nacht geschehen sein. Haben an der Mauer herumgepickt. Farbe ab, Putz ab, Löcher. Sieht jetzt nicht mehr schön aus. Müssen die Kinder von Mauerspechten gewesen sein. Die sind nun vermindert schuldfähig, weil genetisch vorbelastet. Dass sie ein Souvenir wollten, schließe ich mal aus. Eher die Kinder professioneller Händler. Wollen eventuell ihr Taschengeld aufbessern. "Du wolle Stück Mauer? Gebsch dir. Kein Problem!"
Habe beschlossen, das zu beobachten. Habe bereits die Fensterbank freigeräumt und mir ein Kissen für die Arme besorgt. Werde mich jetzt in westlicher Wahrnehmungspraxis einüben. Vielleicht gibt es ja demnächst einen florierenden Handel mit Mauerstücken hier im Ort. Aus der Originalmauer des Grillplatzes. Wäre ja mal was los hier. Und aber auch herrlich schwachsinnig. Aber würde sicher auf der ersten Seite der Primasonntag erscheinen: Der Mauerfall in Waldaschaff!
Ein bisschen Sorgen mache ich mir, was diese intelligenzreduzierten Mauerspechtkinder dann in 25 Jahren ihren Kindern und Enkelkindern genetisch vererbt haben. Ist der Ort nun gefährdet? Sind dann alle Mauern im Ort bedroht?
Aber vielleicht werde ich das nicht mehr erleben (müssen). Man wird ja auch älter irgenwie. Und bis dahin findet ihr mich auf meinem Kissen. Dort auf der Fensterbank.

#Mauerfall #OstWest #Vererbungslehre # Evolution